Es war Donnerstag, der 30. April 1874: der Tag vor dem Namensfest der heiligen Walburga, einer gelehrten Frau und Äbtissin, die so rein gar nichts mit Hexen und Teufeln zu schaffen hatte. Erst ihre Heiligsprechung an einem 1. Mai stellte die Verbindung zur heutigen Walpurgisnacht her, denn durch zahlreiche Wundertaten, welche Walburga zugeschrieben werden, gilt sie auch als Schutzpatronin gegen böse Geister.

Ob damals in Jena die Walpurgisnacht gefeiert wurde ist ebenso nicht überliefert, wie das genaue Wetter – die regelmäßigen Wetteraufzeichnungen in Deutschland begannen erst 1881. Allerdings war man in der Jenaer Sternwarte schon immer akribisch und notierte in der Nacht des 30. April 1874 eine Temperatur von 1 ° Celsius, was sich mit einem Bericht der Jenaischen Zeitung deckt, der auf Schäden durch „plötzlich auftretende Kälte“ einging.

In der Nähe des Spitzweidendreiecks im Norden der kleinen Universitätsstadt an der Saale (Jena hatte 1874 knapp 9.000 Eihnwohner) fieberte man an diesem Morgen einer ganz anderen Sache entgegen. Zwischen den Spitzweiden und der Saalstraße, die dort in die „Straße nach Löbstedt“ überging, hatte das „Jenaische Centralcomité zur Erbauung einer Thüringer Saalbahn“ einen Bahnhof errichtet, der am morgigen Freitag feierlich eröffnet werden sollte.

Am Donnerstag stand nun die erste, knapp eine Stunde lange, Probefahrt der Saalbahn auf der neuen Strecke von Jena über Camburg und Dornburg nach Großheringen an, bei der man testen wollte, ob alles klappte mit der Kohle- und Wasserversorgung und dem ganzen anderen Drum und Dran auf Hin- und Rückfahrt. Es funktionierte und so konnte einen Tag später „der lang ersehnte“ Zugbetrieb aufgenommen werden.

Ab diesem Zeitpunkt bis heute führt die Eisenbahn am Saalbahnhof sowohl Menschen aus dem weiteren Umland als auch den Metropolen Berlin und München in unsere Stadt. Vor 145 Jahren jedoch noch über den Umweg des Anschlusses „an den Zug Nr. 14 nach Berlin, Magdeburg, Leipzig, Dresden“ oder Zug Nr. 13 wieder zurück nach Großheringen.

Aber egal: die Bürger unserer Stadt und aus der Region hatten endlich eine Bahn, die „das jetzt isolirte – weit aus dem Verkehr des Lebens hinausgedrängte Jena wieder in den Weg der großen Weltstraßen bringen würde und so einen entscheidenden fördernden Einfluß auf das Gedeihen unserer Universität ausüben würde.“ wie es das „Jenaische Centralcomité zur Erbauung einer Thüringer Saalbahn“ um die Universitätsprofessoren Danz, Schleiden und Schmid zwanzig Jahre lang gefordert hatte.

Direkt an den Gleisen des Saalbahnhofs Richtung Saale, entstanden um 1890 im Bereich ehemaliger Gärten die ersten Häuserzeilen – errichtet von und für Bahnarbeiter und Handwerker. Fast zeitgleich startete die Bauentwicklung auch auf der anderen Seite am Dreieck der Spitzweiden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der 1884 eröffnete Nordfriedhof mit seinem Krematorium Jenas Hauptfriedhof geworden, auf der anderen Seite der Saalbahn das Jenaer Gaswerk und die Hallen des Eisenbahnreparatur- und Ausbesserungswerks entstanden. Kurzum: der spätere Stadtteil Jena-Nord hatte Gestalt angenommen.

Recherche: Svenja Müller, Rainer Sauer, Cathrin Wiebrecht für das Team Nord. Wir danken dem Stadtarchiv Jena, Frau Constanze Mann und Stadthistoriker Dr. Rüdiger Stutz für die tatkräftige Unterstützung. Bildquellen: Stadtarchin Jena, „Sammlung Jena“ – Die Webseite des Jenaer Saalbahnhofs findet man HIER, alle Berichte über den Jenaer Saalbahnhof DORT.